BERLINER MORGENPOST: Dynamik, die Berlin nicht vorwärtsbringt – Leitartikel

Was nützt die beste Dynamik, wenn es nicht wirklich
vorwärtsgeht. Das Länder-Ranking 2011, vorgelegt von der Initiative
Neue Marktwirtschaft und der „Wirtschaftswoche“, zeigt dieses Dilemma
besonders deutlich am Beispiel Berlin. Hinter Brandenburg rangiert
Berlin im Zeitraum 2007 bis 2010 im bundesweiten Vergleich der
regionalen dynamischen Entwicklung auf Rang zwei. Toll. Aber viel
kaufen können sich die Berliner dafür nicht. Denn im sogenannten
Bestands-Ranking steht Berlin auf dem vorletzten Platz. Schlimm. Denn
diese Rangfolge – wiederum im bundesweiten Vergleich – berücksichtigt
die Arbeitslosenquote, die Arbeitslosengeld-II-Quote und das
Wohlstandsniveau. Da kann Berlin gerade noch Sachsen-Anhalt hinter
sich lassen. Eine Bilanz, mit der sich weder die rot-rote Koalition
im Wahlkampf rühmen noch der Regierende Bürgermeister persönlich
empfehlen kann. Zumal die hunderttausend neuen Arbeitsplätze in
Berlin, mit denen Wowereit (SPD) und Wolf (Linke) zu protzen
belieben, in der Mehrzahl im Niedriglohnsektor angesiedelt sind. Mehr
Hoffnung auf eine bessere Zukunft als dieses Ranking weckt eine
Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Sie sieht Chancen, dass
Berlin in den nächsten zehn Jahren eine halbe Million durchweg
hochwertiger Arbeitsplätze neu aufbauen kann. Die vom Senat ähnlich
definierten Wachstumspotenziale liegen in den Bereichen
Elektromobilität, Gesundheit, Informationstechnologie und Tourismus.
Für einen Qualitätssprung gibt es allerdings eine Voraussetzung:
Berlin muss seine Potenziale endlich nutzen. Allein sie zu
beschreiben nutzt wenig. Der Senat muss zielgerichtet planen und darf
nicht länger nur von den Stärken der Stadt (Wissenschaft, Forschung,
Infrastruktur, Gewerbeflächen, Freizeit) reden. Als beispielsweise in
dieser Woche die erste Investorenkonferenz zum Standort des im
nächsten Jahr zu schließenden Flughafens Tegel tagte, war das
Entsetzen der Teilnehmer aus der Wirtschaft, dabei unter anderem der
Weltkonzern Siemens, groß. Ihr Urteil: keine Vision für das künftige
Profil Tegels, kleinkariert, zu abstrakte, auch provinzielle Planung,
fehlender internationaler Ansatz, um ausländische Investoren zu
gewinnen. So sind vorhandene Potenziale nicht in wirtschaftliches
Wachstum umzusetzen. Auch im Fall Tempelhof verdichtet sich der
Eindruck, eine reine Kleingartenkolonie wäre dem Senat dort am
liebsten. Erst kürzlich übrigens hat sich Siemens bei einer
Großinvestition gegen Berlin entschieden. Oder das Gerede von Berlin
als Modellstadt für E-Mobility. Bislang sind nicht einmal alle großen
deutschen Automobilbauer vom Senat offiziell oder zumindest
inoffiziell zum Mitmachen kontaktiert worden. Und Berlin als
Gesundheitsstadt? Wie der Senat die weltberühmte Charité finanziell
am langen Arm hungern lässt, ist wahrlich keine Werbung, um
international zahlungskräftige Patienten vom Medizinstandort Berlin
zu überzeugen. Dynamik hin, Potenziale her – weil Adlershof nicht
reicht, darf in Berlin von beidem nicht länger nur schwadroniert
werden. Jeder bescheinigt Berlin Chancen. Sie müssen nur endlich
konsequent umgesetzt werden. Das wird die große Herausforderung für
einen neuen Senat.

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