Mittelbayerische Zeitung: Anpacken oder einpacken

Von Reinhard Zweigler

Bundesumweltminister Peter Altmeier sieht sich selbst als
sinnenfreudigen, barocken Menschen. Der Saarländer hat in seiner
Küche vielleicht mehr politische Allianzen „zusammengekocht“, als im
sonstigen harten Politbetrieb in ermüdenden Kungelrunden. Derzeit
tourt das politische Schwergewicht durch die Bundesländer. Das Thema
überall: die Energiewende. Der hintersinnig-humorvolle Saarländer hat
nun ungewohnt ernst auf die Risiken und Versäumnisse bei diesem
brisanten Projekt aufmerksam gemacht. Gelingt es ihm, die holpernde
Energiewende flott zu machen, wäre das der Gradmesser seines
Erfolges. Geht es schief, wäre nicht nur die politische Karriere
Altmeiers abrupt beendet. Und das ist noch tief gestapelt. Die
Energiewende ist längst nicht nur zum Kriterium für den Minister,
sondern auch zu einem entscheidenden Punkt für die anstehende
Bundestagswahl 2013 geworden. Gelingt der Umstieg von der Kernkraft
hin zu erneuerbaren Energien, dann könnte auch die zuletzt viel
gescholtene schwarz-gelbe Koalition punkten. Geht die Sache schief,
käme es etwa gar zu einem Blackout in der Stromversorgung, zöge es
die Koalitionäre zwangsläufig noch tiefer nach unten. Altmeier kann
so gesehen zum Joker von Schwarz-Gelb oder zum Schwarzen Peter dieser
Koalition werden. Ziemlich unerbittlich legt der neue Umweltminister
die Finger in die Wunden, die der Überflieger Norbert Röttgen,
hinterlassen hat. Nicht nur den Abstimmungsbedarf mit der Wirtschaft,
mit den Ländern und innerhalb der Bundesressorts Wirtschaft und
Umwelt hatte der eloquente Röttgen großzügig unterschätzt, sondern
auch weitere substanzielle Fragen: nämlich die, ob die Energiewende
auch für Wirtschaft und Verbraucher verkraftbar, sprich bezahlbar,
wird. Strompreise, die Unternehmen aus dem Land treiben und/oder die
Verbraucher verzweifeln lassen, wären in höchstem Maße
kontraproduktiv. Wenn nicht aufgepasst wird, wenn die
Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Verbrauchern überstrapaziert
würde, könnte die euphorisch angekündigte Energiewende rasch zum
krachenden Verliererthema werden. Für Schwarz-Gelb, für die
Wirtschaft, für uns alle. Altmeier steuert kräftig gegen und er hat
in der Kanzlerin eine wichtige Verbündete, die selbst einmal
Umweltministerin war und um die vertrackten Zusammenhänge von
Energieverbrauch, -effizienz und Klimaschutz weiß. Gleichwohl droht
das ehrgeizige Projekt im Gestrüpp der zerklüfteten Zuständigkeiten,
des Gesetzes- und Verordnungswirrwarrs stecken zu bleiben. Und
obendrein könnte es von der schlagzeilen-füllenden Euro-Krise in den
Schatten gestellt werden. Die Energiewende braucht hartnäckige
Kümmerer und umgängliche Kärrner, wie Altmeier einer ist. Keine
politischen Blender, die sich mit dem Thema eh nur Lorbeeren ans
Jackett heften möchten und dabei auf den nächsten Karrieresprung
schielen. Dass Altmeier im September ein Treffen mit Sozialverbänden,
Verbraucherschützern und Politik plant, ist insofern ein gutes
Zeichen. Der Minister will mitnehmen, Allianzen schmieden und nicht
mit überehrgeizigen Energiekonzepten vom grünen Tisch Menschen vor
den Kopf stoßen. Richtig so. Die Frage, ob Deutschland zum besseren
Meistern der Energiewende ein eigenständiges Energieministerium
braucht oder nicht, wie zuletzt auch von der CSU verlangt, ist dabei
zweitrangig. Bisher sind sich zwei Minister – der liberale
Wirtschaftsminister Philipp Rösler und der CDU-Umweltmann Altmeier –
nicht besonders grün. Käme nun noch ein Energieminister hinzu, für
den mühsam Kompetenzen von den anderen abgezwackt werden müssten,
machte das die Sache nicht einfacher. Es hilft nichts, Altmeier und
Co. müssen die Energiewende packen – oder sie können einpacken.

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