Die Lage scheint entschärft. Die
Bundesregierung hat einen Tag vor dem europaweiten
Anti-ACTA-Protesttag angekündigt, das internationale Abkommen gegen
Fälschungen vorerst nicht zu unterschreiben. Die Entscheidung liegt
jetzt zunächst beim Europäischen Parlament, ob die Richtlinie im
Umgang mit Produktpiraterie und Urheberrechten für die 27
Mitgliedstaaten in Kraft treten soll. Damit hat sie die Verantwortung
für eine notwendige Diskussion vertagt. Dabei wäre es wichtig
festzustellen, was geistiges Eigentum heutzutage bedeutet. Zunächst
einmal steht fest, das geistiges Eigentum schützenswert ist. Das
lässt sich an ganz einfachen Beispielen vermitteln. Niemand hat es
gerne, wenn die eigene Idee auf der Arbeit geklaut wird, ohne das man
dafür Anerkennung erhält. Auch sollte es selbstverständlich sein,
dass ein Künstler, der mich mit seinem Schaffen berührt, dafür
entsprechend entlohnt wird – genauso wie ein Forscher, der
innovatives Wissen entwickelt. Nun ist Urheberrecht nicht immer so
unmittelbar erlebbar. Das beispielsweise zwischen Musiker und
Konsument ein Vermittler steht, der an seiner Rolle verdient ist
größtenteils auch nachvollziehbar. Das derzeitige Urheberrecht
überträgt aber die Regeln des analogen Musikhandels – um bei diesem
Beispiel zu bleiben – auf die Situation im Netz. Wann man eine
Musikdatei im Internet teilen möchte, macht man sich strafbar.
Sicherlich, erreicht das digitale Mixtape nicht nur sieben Freunde
sondern unter Umständen auch den Rest der Welt. Aber ist es deswegen
sinnvoll, jeden zu kriminalisieren, der im Internet Bilder und Musik
ausgetauscht hat? Oder ist es vielmehr an der Zeit, den Schutz
geistigen Eigentums an die technischen Möglichkeiten anzupassen, die
nun einmal existieren? Zudem konzentriert sich die gegenwärtige
Diskussion leider auf die Recht- oder Unrechtmäßigkeit von
File-Sharing. Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger kann
sich vorerst auch deswegen in die Regierungsbank zurücklehnen, weil
Deutschland ohnehin eines der strengsten Urheberrechtsgesetze der
Welt hat – nicht ohne Grund. Die deutsche Wirtschaft oder Produkte
„Made in Germany“ sind vor allem für zwei Dinge bekannt: Qualität und
Innovation. Wenn es nicht gelingt, die Forschungsergebnisse und die
eventuell daraus entstehenden Patente ausreichend zu schützen,
verlieren die Unternehmen einen, wenn nicht sogar den wichtigsten
Wettbewerbsvorteil im Kräftemessen mit Firmen, die an Entwicklungs-
und Produktionskosten sparen. Doch was, wenn es nicht um eine
besonders praktische Kettensäge oder ein vorbildlich effizientes Auto
geht, sondern um neue Medikamente und angeblich überlegenes Saatgut?
Wenn es also um das Recht an der Heilung und Ernährung von Menschen
geht? Anwendbare Forschung wird heutzutage fast ausschließlich von
Unternehmen oder zumindest in Kooperation mit ihnen praktiziert. Die
geben sich natürlich nicht damit zufrieden, wie Alexander Fleming
geadelt zu werden, wenn sie ein das Penicillin entdecken. Schließlich
muss Forschung finanziert und ein Profit erreicht werden. Keine
Angst, es geht nicht um Kulturpessimismus. Doch kann es auch nicht
sein, dass das Urheberrecht auch auf die Gefahr hin geschützt wird,
dass Menschen sterben, nur weil Anerkennung keine Währung mehr für
geistiges Eigentum ist. Die Chance, das gegenwärtige Interesse an
ACTA für grundlegende Überlegungen für den Allgemeinwert von Ideen zu
nutzen, sollte nicht verpasst werden – auch nicht vorerst.
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