Der künftige „sanfte“ Chef der Liberalen
Philipp Rösler gibt sich alle Mühe, alle schlechten Vorurteile und
eilfertigen Unkenrufe zu entkräften. Er werde über die Richtlinien
der Liberalen im Kabinett bestimmen. Und nicht etwa der nur halb
entmachtete Noch-FDP-Chef und Noch-Vizekanzler Guido Westerwelle.
Doch die Zweifel, dass es mit der Revolution innerhalb der Partei
nicht weit her ist, halten sich hartnäckig. Der Abwärtsstrudel der
Liberalen setzt sich ungebremst fort. Und ein alter Kalauer hat
wieder Konjunktur. FDP – das heißt Fast Drei Prozent. Der
Liberalismus in Deutschland, zumindest was dessen Verankerung in der
FDP betrifft, steht vor einem Desaster. In der Union sind die
Absetzbewegungen deutlich spürbar. Aus Furcht, selbst in den
Abwärtsstrudel gerissen zu werden. In einer solch prekären Situation
macht selbst die alte Selbst-Beschwörungsformel der FDP nicht
hoffnungsvoller, ihr habe man schließlich schon oft das
Totenglöcklein geläutet. Es geht mehr als jemals zuvor um das
politische Überleben einer Partei, die viele Jahrzehnte lang die
deutsche Nachkriegspolitik mitbestimmte. Die Krise der FDP macht sich
nicht nur an den strittigen politischen Inhalten, an der künftigen
programmatischen Ausrichtung, sondern zuerst an Personen fest.
Rösler, der zusammen mit den „jungen Milden“ – Generalsekretär
Christian Lindner und dem nordrhein-westfälischen Landeschef Daniel
Bahr – Westerwelles Abtreten von der Parteispitze vorangetrieben hat,
hat gewissermaßen eine Bleiweste umgehängt bekommen. Im
Bundeskabinett wird Westerwelle weiterhin den Außenministerposten
besetzen, was sich der clevere Noch-Vorsitzende quasi im Handstreich
von den Parteispitzen absegnen ließ. Rösler versucht zwar unentwegt,
politische Pflöcke einzuschlagen – der Abschied von raschen
Steuersenkungen gehört dazu -, doch er wirkt dennoch wie
schaumgebremst. Klare Kante kann er weder gegen Westerwelle noch
gegen die gleichfalls überfälligen Birgit Homburger sowie Rainer
Brüderle zeigen. Dazu fehlt dem künftigen Vorsitzenden offenbar nicht
nur der Mumm, sondern er wird auch von einem Gestrüpp
innerparteilicher Beziehungen zurückgehalten. Würden Westerwelle,
Homburger und Co. völlig aus der Spitze verbannt, stünde es um
Röslers Wahl auf dem nächsten Parteitag womöglich schlecht. Dass sich
die inhaltlich durch Westerwelle verengte Partei neu aufstellen muss,
ist indes keine Frage. Die Grünen etwa haben nicht nur ihr
Atom-Thema, sondern sind auch drauf und dran, den Liberalen das
Rechtsstaatsthema zu entreißen. Ein Aufrücken der lange wegen ihrer
prinzipiellen Haltungen belächelten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger zu einer stellvertretenden
Parteivorsitzenden wäre zumindest ein sichtbares Zeichen. Die FDP
wird wieder zur Bürgerrechtspartei. Die Appelle der couragierten
Justizministerin zur Geschlossenheit der Partei sind zugleich die
Aufforderung zu thematischer Neuaufstellung und Erweiterung. Ohne die
streitbare bayerische FDP-Chefin scheint das unmöglich. Der
Niedergang des liberalen Koalitionspartners trifft die Union in einer
sensiblen und schwierigen Phase der eigenen Neujustierung. CSU-Chef
Horst Seehofer warnt bereits vor der „Infektionsgefahr“, die von der
FDP ausgehen könne. Doch er wolle nichts androhen, fügte er hinzu –
und macht damit die Drohung nur noch schlimmer. Ob er dabei einen
Bruch der Berliner Koalition oder der eigenen in München vor Augen
hatte, ließ Seehofer auch offen. Vielleicht sogar beide. Im Moment
werden die brüchigen schwarz-gelben Regierungsbündnisse vor allem von
der Furcht vor dem Machtverlust zusammengehalten. Aber das allein
reicht auf Dauer nicht.
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