WAZ: Schavans Lockruf. Kommentar von Walter Bau

In den 50er- und 60er-Jahren lockte die
Bundesrepublik Zehntausende Arbeitskräfte aus Südeuropa ins Land. Die
„Gastarbeiter“, wie sie damals hießen, sollten die Jobs erledigen, zu
denen die deutschen Wirtschaftswunderkinder keine Lust mehr hatten:
im Bergbau, am Fließband bei Ford und VW, bei der Müllabfuhr. Jetzt
wirbt Deutschland wieder im Süden um Arbeitskräfte – doch diesmal
sind die Vorzeichen anders. In Deutschland, das als letzte große
Volkswirtschaft in Europa (noch) der Krise trotzt, herrscht Mangel an
Fachkräften. Und in Krisenländern wie Spanien stehen viele
Studienabsolventen ohne Job da – trotz guter Ausbildung. Sogar das
deutsche Ausbildungssystem will Bildungsministerin Schavan nach
Spanien exportieren. Gegen die Lockrufe ist, zumal in Zeiten der
Globalisierung, nichts einzuwenden. Job-Wechsel über Grenzen hinweg
sind längst normal und erwünscht. Zu wünschen ist aber auch, dass die
deutsche Seite die Aktion mit mehr Feingefühl angeht als dies bei den
Anwerbungen vor 50 und 60 Jahren der Fall war. Denn in so manchem
Euro-Partnerland ist man schon heute mächtig sauer auf „die
Deutschen“, die gelegentlich oberlehrerhaft ihre Ratschläge
verteilen. Wenn die Anwerbung hochqualifizierter junger Leute nun so
rüber käme wie ein Beutezug auf dem Arbeitsmarkt, hätte dies
verheerende Folgen fürs politische Klima in Europa. Deshalb: Sensibel
vorgehen! Auch wenn–s schwerfällt.

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